LektorInnenlob

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Käte Behr-Kuhn (Leeds, 1957-8)
“Traditionen … und Latein?!”

Leeds, Oktober 1957.

Was sind die ersten Eindrücke einer deutschen Referendarin, die – begleitet vom Wohlwollen ihres Ausbilders in Englisch und vom Haß ihres Ausbilders in Deutsch – als ‘deutsche Lektorin’ nach Leeds kommt?

Eine rußgeschwärzte Stadt, in krassem Gegensatz dazu ein stattlicher Renaissance-Herrensitz (Weetwood) im Glanz der Oktobersonne, inmitten eines wunderbaren Parks voller Dahlien in allen Farben (die Subwarden sagt: “they’re lasting longer this year than any dahlias are entitled to last”). Das Haus voll zuvorkommend höflicher Studentinnen (es gibt allerdings bald auch die studentenübliche Kehrseite der Höflichkeit, wenn’s ums Putzen der Badewannen und Verteilen der ‘cold trays’ geht). Und dann der gelinde Schock des ersten Dinners: Statt sich möglichst unauffällig hineinschleichen und an irgendeinem Tisch Unterschlupf finden zu können, muß sich alles, was Staff ist, außen versammeln und mit der Warden im Gänsemarsch feierlich einziehen durch alle die sich verstummt erhebenden Studentinnen hindurch zum Staff-Tisch am far end des Saales. Bin ich zurückgekehrt ins Mittelalter?

Und dann die Universität. Für den an deutsche Verhältnisse Gewöhnten unheimlich klein, familiär, sehr menschlich. Einer der Dozenten, John Wilkie, begleitet mich fast den ganzen Tag zu allen wichtigen Stellen der Stadt, hilft alle Formalitäten erledigen von der Krankenversicherung bis zur Bank (neues Erstaunen: Die funktioniert ohne Kontonummer, nur auf den Namen). John muß aber schon am folgenden Tag durch Mark Boulby ersetzt werden: Die asiatische Grippe greift um sich, und wie! Nach drei Tagen bin ich im German Department allein mit Professor Gillies, alle anderen sind vorerst ’mal krank. Ich werde – außerplanmässig – zu englisch-deutschen Übersetzungsübungen verdonnert. Erklärungen bitte alle auf Englisch – das sind Nebenfachgermanisten, die brauchen nicht so viel Deutsch zu verstehen. (Staunen: Ich bin doch auch Nebenfach-Anglist.) Nur ein gelegentliches leichtes Grinsen mancher Studenten bezeugt mir die Qualität meiner englischen Erklärungen.

Um 11 Uhr erscheint eine der Putzfrauen mit Kaffee (?!) und tröstet mich wegen meines Alleinseins: “You’ll be so much better when Miss Brebner is back – she’s ever so nice.” Und: she is! Aber es dauert, bis sie kommt. Lilias hat eine schwere Hepatitis.

Überraschend auch, daß in Leeds Fächer wie Architektur zur Faculty of Arts gehören. Manchmal hat man den Eindruck, daß das bestimmten Stellen des Gebäudes anzumerken ist, z.B. dem Aufzug, dessen kunstvolle Gitter sich mehrmals wöchentlich verklemmen und irgendeinen Pechvogel für 1 bis 2 Stunden zwischen den Stockwerken gefangenhalten, bis er eben von irgend jemandem vermißt wird.

Etwas vom Schönsten: Der German Choir. Nicht nur, weil ich gerne singe. Das Tolle daran ist der Probenraum: Wilkies’ Wohnzimmer! Mit Kaffeepause! Heute lebe ich mit meinem Mann längst auch so ähnlich, aber damals war es faszinierend zu erleben, daß man regelmäßig ca.30 Leute bei sich empfangen und bewirten kann, auch wenn man nur 12 Stühle und 15 Tassen besitzt! Das vermittelt Sinn fürs Wesentliche. Das ganze Unheil Dornröschens wäre nie passiert, wenn man die 13. Fee nicht außen vor gelassen hätte, bloß weil man nur 12 goldene Teller hatte.

Der schönste deutsche Satz aus der Feder eines englischen Studenten, an den ich mich erinnere: ‘Er war ein Mann des Mittelalters’ (gemeint war: ‘mittleren Alters’). Aber eines Tages kam Kollege Mark Boulby an und fragte, ob ich ’mal Latein gelernt hätte. Er komme da, trotz eigentlich fundierter Kenntnisse, einfach nicht weiter. “ ‘Beatus ille homo, qui sedet in sua domo …’ aber dann: ‘et sedet post fornacem …’ ”. Aha, er liest Eichendorff. Das kann sich nun ein Brite, der an offenen Kaminfeuern aufgewachsen ist, wirklich nicht vorstellen, wie man ‘post fornacem’ sitzen kann, zumal das Küchenlatein recht inadäquat ist für einen deutschen Kachelofen.

Probleme mit dem Lateinischen gab’s auch in Weetwood. Die Warden (Miss Carey) sprach üblicherweise vor und nach den Mahlzeiten das Tischgebet, bestehend aus 2x2 Worten, die sich für deutsche Ohren ungefähr so anhörten: [ben’diktus bendi:kaet – ben’diktou bendi’keite]. Niemand hielt sich daran weiter auf, aber als Miss Carey einmal verreist war, zeigte sich, daß niemand in der Hall imstande war, die vier Worte zusammenzubringen oder gar wußte, was sie bedeuteten. May Pickersgill, die Subwarden, kam hilfesuchend zu mir. Die vielleicht typisch deutsche Idee: Sprich doch einfach irgend ein anderes (englisches) Tischgebet, wurde als unmöglich zurückgewiesen. Tradition ist Tradition. Also ließen wir uns die vier Worte (pun?) den ganzen Tag durch den Kopf gehen, bis ich mir endlich das Schriftbild dazu vorstellen konnte: ‘Benedictus benedicat’ (der Hochgelobte möge segnen) und ‘Benedicto benedicatur’ (dem Hochgelobten sei Lob gesagt). Die Tradition war gerettet, die Studenten verstanden es nach wie vor nicht.

Zum Schluß nochmal zurück zu Mrs Wilson, der Parkinson-Building-Reinmachefrau. Sie verdiente es wirklich, hier noch ein Denkmal zu bekommen. (Die vielen anderen lieben Menschen, von denen ich in Leeds Wunderbares erfahren habe, mögen es verzeihen). Sobald Lilias nämlich wieder gesund war, wurden wir zusammen von Mrs Wilson eingeladen. Niemals sonst wurde ich in England so liebevoll und so total überfuttert wie in Mrs Wilson’s typischem Backstein-Reihenhäuschen aus der Industrialisierungszeit. Und zu meinem Abschied überreichte sie mir eine von ihr bestickte Tischdecke, die ich heute noch zu ihrem Andenken aufbewahre.


“Welche ist die edelste Nation?”

– Des Österreichers Antwort:
“die Resig-Nation”