Den
Tag der deutschen Wiedervereinigung erlebte ich im Department of German
der Universität Leeds. Während ich mich mit meinen neuen Kollegen
bei einem Glas Sekt über die Ereignisse der vorangegangenen Monate
unterhielt, gingen mir alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Erst
eine Woche zuvor war die endgültige Bestätigung für meine
Tätigkeit als Lektorin gekommen, und in Windeseile mußte die
Reise organisiert werden. Schließlich fuhren Waldemar und ich am 29.09.1990
mit dem Auto los – im Kofferraum auch mein zerlegtes Fahrrad. Auf
dem Weg zur Fähre begegneten wir vielen freundlichen Autofahrern, die
uns mit der Lichthupe oder mit dem Victory-Zeichen grüßten. In
dieser euphorischen Stimmung erreichten wir den Hafen von Hull. Eine kleine
Ernüchterung kam, als wir als Einzige aus der Schlange der Einreisenden
herausgewinkt wurden. Zwei freundliche Herren fragten nach einem Visum und
nach einer Arbeitserlaubnis. Die Vereinigung schon vor Augen, hatte ich
an diese Formalitäten überhaupt nicht mehr gedacht. Dennoch wurden
wir ins Land gelassen, allerdings mit der Auflage, uns umgehend bei der
West Yorkshire Police in Leeds zu melden – eine Bitte, der wir als
erfahrene DDR-Bürger sofort nachkamen. So erhielt ich als eine der
letzten DDR-Bürgerinnen für £36 ein Certificate of Registration.
Meine Auslagen wurden mir am Tag nach der Wiedervereinigung problemlos vom
British Council zurückerstattet. Das Dokument durfte ich behalten,
und es ist mittlerweile zu einer lustigen Erinnerung an eine aufregende
Zeit geworden.
Alle weiteren Formalitäten konnte ich dank der Fürsorge meiner
Kollegen mühelos meistern. Meine Absicht, die tägliche Strecke
zwischen Headingley und der Uni mit dem Fahrrad zurückzulegen, stieß
allerdings nicht auf große Zustimmung. Erst am nächsten Tag erkannte
ich den Grund dafür: Fahrrad fahren in Leeds erfordert tatsächlich
viel Mut und Abenteuerlust.
Das
zentrale Thema der Gespräche mit Studenten und Kollegen war natürlich
die deutsche Wiedervereinigung und die ehemaligen beiden deutschen Staaten.
Ich erinnere mich, daß es nicht immer einfach war, die aktuellen
Informationen zu erhalten, denn auch 1990/91 besaßen nur wenige
meiner Verwandten und Bekannten in den neuen Bundesländern ein Telefon,
und an das Internet war noch nicht zu denken.
Als ich in der Vorlesungspause im Dezember 1990 Kollegen in meiner Heimatuniversität
in Leipzig besuchen wollte, stand ich vor verschlossen Türen. Die
Uni wurde von Studenten bestreikt. Die erste Phase der Abwicklung von
Instituten und Fachbereichen hatte begonnen. Ich weiß noch, daß
ich danach mit den Studenten in Leeds eine Vielzahl neuer Wortschöpfungen
der Wendezeit, wie z.B. ‘Abwicklung’, diskutierte. Mir gab
die Arbeit in Leeds auch die Möglichkeit, aus der räumlichen
Distanz zum Geschehen, die vielen Ereignisse und Prozesse seit dem Sommer
1989 intensiv zu verarbeiten.
Groß war die Freude, als der DAAD und die Universität Leeds
ein zweites Einsatzjahr genehmigten. Leider kam es dazu nicht, denn an
der Universität Leipzig hatte die zweite Entlassungswelle gerade
begonnen, und ein weiteres Jahr in Leeds hätte die Streichung meiner
Stelle bedeutet. Also fuhr ich im Juli 1991 nach Leipzig zurück.
Im Institut für Anglistik hatte die Arbeitswoche plötzlich wieder
6 Tage, denn zu uns kamen Scharen von ehemaligen Russischlehrern, die
nun – da sie nicht mehr gebraucht wurden – zu Englischlehrern
umgeschult werden sollten. Mitunter war das kein leichtes Unterfangen.
Immer sonnabends fanden meine Kurse zur alt- und mittelenglischen Sprachperiode
statt.
1992
bewarb ich mich erfolgreich auf eine Stelle als Hochschuldozentin für
Textlinguistik und Sprachgeschichte an der Universität Leipzig. Die
Stelle war auf sechs Jahre befristet, und so übernahm ich 1997 eine
Lehrstuhlvertretung an der Technischen Universität Dresden. 1998
erhielt ich schließlich den Ruf als Professorin für Englische
Sprachwissenschaft an die Hochschule Anhalt in Köthen. Am dortigen
Fachbereich Informatik war der Studiengang Fachübersetzen gegründet
worden und ich sollte ihn mit aufbauen – eine neue Herausforderung,
die ich gern annehmen wollte. Natürlich gab es die üblichen
Anfangsschwierigkeiten, aber mittlerweile hat sich der Studiengang recht
gut entwickelt.
Computer und Übersetzen sind heute enger denn je miteinander verbunden.
Der wertvollste Rohstoff unserer Zeit ist Information, so daß die
Verarbeitung dieser Ressource – und hier in besonderer Weise die
Übersetzung – sowie ständige, auch mehrsprachige Kommunikation
zunehmend über Innovationsgeschwindigkeit und damit über Wettbewerbsfähigkeit
entscheidet. Maschinelle Übersetzungssysteme können heute vor
allem zur Übersetzung fachsprachlicher Texte recht sinnvoll eingesetzt
werden. Wir haben uns in Köthen u.a. auf die Lokalisierung von Softwareprodukten
spezialisiert (Übersetzung systeminterner Anweisungen eines Computerprogramms).
Natürlich (und zum Glück!) ist auch hier der Mensch als Übersetzer
noch lange nicht überflüssig, aber die Arbeit unserer Studenten
wird zunehmend auch darin bestehen, sehr umfangreiche Posteditionen von
maschinell übersetzten Texten zu übernehmen.
Die verbreitetsten maschinellen Übersetzungswerkzeuge im professionellen
Bereich sind derzeit Translation Memories, d.h. multilinguale Text-oder
Satzarchive, die synchronisierte quellsprachige und übersetzte Textsegmente
(Sätze) enthalten, die bei der Übersetzung als Referenzmaterial
dienen. Jeder zu übersetzende Satz wird auf seine Ähnlichkeit
mit dem Referenzmaterial hin überprüft – eine große
Erleichterung und Zeitersparnis für den Humanübersetzer. Man
spricht hier von Computer Aided Translation (CAT).
Aber zunächst müssen sich natürlich auch unsere Studenten
intensiv mit der jeweiligen Fremdsprache (zur Zeit Englisch, Französisch,
Portugiesisch, Russisch) und vor allem mit dem entsprechenden kulturspezifischen
Hintergrund beschäftigen. Denn das wird der Computer auch in Zukunft
nicht übernehmen! – Informationsverarbeitung überschreitet
Ländergrenzen und ist daher Ausdruck echter Globalisierung. Für
mich begann dieser Prozess in Leeds.
Overheard in
the Departmental Office:
“We
want to take her back home with us.
She is so friendly and unbürokratisch!”
– Two German
exchange students are full of admiration for Lesley’s help with
accommodation and enrolment. –
More than
25 generations of students (English and German), plus staff and visitors
to the Department share these sentiments completely.
Thank
you, Lesley!
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