LektorInnenlob

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Christa Hartwig (Leeds, 1986-8):
“Studentin der [Zeit-]Geschichte, oder ‘don’t panic!’ ”
Tja, was soll ich als meinen Bericht beisteuern? Ich war als Deutschlektorin von 1986-88 in Leeds, und es fing alles schon ganz aufregend an, noch ehe ich überhaupt im Department ankam. Einige meiner Sachen hatte ich als Frachtgut vorausgeschickt; das, was ich meinte gleich zu brauchen, hatte ich als 20 Kilo Koffer bei mir. Mein Flug ging von Berlin nach London und dann weiter nach Leeds. Das Flugzeug nach London kam mit ziemlicher Verspätung an. Folglich bekam ich meinen Koffer ausgehändigt und mußte ihn selbst weiter transportieren. Dann mußte ich durch die Flughafenkontrolle. Deutsche West konnten mühelos einen Schalter für EU-Bürger benutzen, eine Deutsche Ost hatte sich in eine lange Schlange von anderweitigen aliens einzuordnen. Normalerweise bin ich höflich und zurückhaltend, doch da habe ich mich wohl erstmals ziemlich rabiat nach vorn gedrängelt. Daraufhin wurde ich vom Immigration officer besonders lange befragt; vielleicht meinte er, die Sache mit dem gleich startenden Anschlußflugzeug sei der neueste Trick Asylsuchender. Als ich endlich gehen konnte, warteten schon zwei Stewardessen auf mich, denn ich war ihr einziger Passagier, der noch fehlte. Eine nahm meinen Koffer und dann rannten wir zu dritt los. Im Flugzeug angekommen, fiel ich auf meinen Platz und konnte gerade noch um ein Glas Wasser bitten.

Dann wäre ich auch beinahe noch zu früh ausgestiegen. Ich konnte ja nicht wissen, daß es noch eine Zwischenlandung gab. In Leeds holten mich Ken Knight und Raymond Hargreaves ab und brachten mich nach Weetwood Hall, nicht “Weedwood Hall”, wie als Adresse auf meinem Frachtgut stand. Sollte das der Grund sein, warum die anderen Koffer noch nicht angekommen waren, obwohl ich sie rechtzeitig aufgegeben hatte? Ich hatte dafür aber schon einen Brief. Von “Sealink”. Den Namen werde ich so schnell nicht vergessen, denn sie forderten meine Kofferschlüssel an. Wenn diese nicht, zusammen mit einem englischsprachigen Verzeichnis aller Gegenstände, die sich in den Koffern befänden “in a reasonable time” bei ihnen vorlägen, würden sie die Koffer zur Versteigerung freigeben. Na prima! Meine erste Aufgabe in Leeds bestand also darin, mein Inhaltsverzeichnis zu übersetzen und die Kofferschlüssel zu versenden. Drei Tage bin ich in meinem verschwitzten Pullover herum gelaufen, dann kam der erlösende Anruf vom Bahnhof. Mit Helen Chambers’ Hilfe konnte ich meine Sachen in Empfang nehmen.

Vor Weihnachten wollten John und Richard wegen mir sogar ihren Parlamentsabgeordneten Keith Hampson einschalten. Ich wollte nach Hause fliegen, hatte aber von der britischen Botschaft in Berlin nur ein Einfachvisum bekommen. Das hätte zur Konsequenz gehabt, daß ich zwar nach Hause gekonnt hätte aber nicht wieder nach Leeds zurück. Ich brauchte also einen Stempel, und den gab es in Liverpool, wo ich zweimal umsonst war. Beim ersten Mal mußte ich ein langes Begründungsformular ausfüllen, warum ich überhaupt nach Hause wollte, worauf ich nur kurz und bündig “Christmas” eingetragen habe. Es dauerte und dauerte. Im Department wurde mir dann noch als Horror-Geschichte, die aber sicher als Trost gemeint war, erzählt, daß es Werner Plehn so ähnlich ergangen und sein Paß in einen Poststreik gekommen sei. Wenn mir so etwas erzählt wird, gerate ich leicht in Panik. So z.B. auch beim Aufbruch in die Sommerferien. Ich hatte inzwischen viele Bücher gekauft, von denen ich etliche schon nach Hause bringen wollte. Der Koffer wog, kein Wunder, plötzlich mehr als 20 Kilogramm. John Tailby wußte zu berichten, daß dann das Übergepäck nach den Kosten der 1. Klasse berechnet wird. Mitbewohnerinnen in Weetwood Hall aus Brunei und Hongkong meinten, das sei alles nicht so schlimm. Sicherheitshalber habe ich mich bei British Airways erkundigt. Die Auskunft dort lautete schlicht “don’t panic”. Als ich nach einem Jahr dort wieder wegen einer Flugbuchung erschien, konnten sich die beiden Damen noch genau an mich erinnern. Das ist mir heute noch irgendwie peinlich.

Tja, und dann könnte ich noch beisteuern, wie ein Flugzeug einmal wegen Nebel nicht in Amsterdam sondern in Rotterdam landete, neben mir ein Herr mit Klaustrophobie. Ich könnte erzählen, wie ich nach dem Besuch der Tate Gallery in London plötzlich ohne Geld dastand, aber ich möchte keinen bloßen Katastrophenbericht geben.

Damals hatte ich eigentlich vor, ein Buch in Form von Feuilletons über Großbritannien zu schreiben und habe dafür auch viel fotografiert. In meinem Zimmer zwischen Michael Beddow und dem Computerraum, wo meistens Syd Donald saß, habe ich eifrig alles zu Papier gebracht. Die beiden haben sich sicher gewundert, was ich so zu tippen hatte – hiermit wird das Rätsel belüftet. Die Wende kam ein Jahr nach meiner Rückkehr, und Bücher von der Sorte, wie mein geplantes aussehen sollte, gab es zuhauf. Aber ich habe jetzt noch einmal meine Notizen von damals gelesen und gemerkt, daß vieles schon in Vergessenheit geraten war, wie z.B. meine häufigen Besuche beim Zahnarzt, der mich schon zum Simulanten stempeln wollte, bis ich endlich mit einer dicken Backe auftauchte und rehabilitiert war. Aber noch heute wird seine Wurzelkanalfüllung (oder so ähnlich) beim Betrachten von Röntgenbildern durch meine hiesige Zahnärztin gelobt ...

Dreimal war ich seit damals wieder in Leeds. Weetwood Hall hätte ich nicht wiedererkannt. Vielen gefällt das Gebäude so wahrscheinlich besser, aber ich hätte mich nicht mehr orientieren können, wenn nicht mein “room with a view” gegenüber der Polizeistation gewesen wäre. Dafür erkannte ich unter den anwesenden Gästen eine Dozentin aus dem History Department. Immer, wenn es meine Zeit erlaubte, hatte ich dort an Vorlesungen teilgenommen und war einmal ganz massiv von einem Dozenten darauf hingewiesen worden, ich hätte gefälligst auch an seinen Seminaren teilzunehmen. Das muß ziemlich am Anfang meines Aufenthaltes gewesen sein, denn ich hatte mir noch etwas darauf eingebildet, scheinbar wie eine Studentin auszusehen (wenigstens aus der Ferne), bis ich dann merkte, daß es auch jede Menge von “mature students” gab.

Im zweiten Jahr meines Aufenthaltes war ich in Tetley Hall einquartiert, wo ich mir eine Wohneinheit mit der Verwalterin (Domestic Bursar) teilte. Wir waren insofern privilegiert, als wir eine Gasheizung hatten, die wir selbst regulieren konnten, wovon ich zeitweise – trotz des von Helen geliehenen Federbetts – regen Gebrauch gemacht habe. In den Osterferien hatte ich mir dann aber doch eine Stirnhöhlenvereiterung zugezogen, allerdings nicht in Tetley, sondern während einer Konferenz in Bradford, wo es nur zwei dünne Wolldecken für die Nacht gab. Eine Dame vom DAAD, die schon länger in Großbritannien tätig war, wußte Bescheid. Sie reiste mit Koffer und einer großen Reisetasche an, in der sie ein Federbett hatte.

Während Weetwood Hall nur für Studentinnen war, handelte es sich bei Tetley um eine gemischte Hall of Residence unter der Leitung von ‘Gordon the Warden’. Da ich keine Studentin war, meinte Gordon, ich müsse für die Hall als eine Art sub-warden aktiv werden und wollte mir die Betreuung der Bar übergeben. Ich weiß nicht, welchem glücklichen Umstand ich es zu verdanken habe, nicht zum Einsatz gekommen zu sein. – Der Obhut von Vati und Mutti entronnen, kamen Erstsemesterstudenten übrigens öfter mit Krücken und Gipsbeinen, die sie sich beim berühmt-berüchtigten Pub crawl zugezogen hatten oder indem sie in berauschtem Zustand die Treppe herunter gefallen waren.

Der gravierendste Unterschied zwischen beiden Arten der Unterbringung war wohl die Art und Weise der gemeinsamen Abendessen: die Jungen langten tüchtig zu, weil sie wahrscheinlich meinten, die Mädchen würden wegen der Figur sowieso nicht so viel essen. Es ist zwar niemand verhungert, aber manchmal grenzte es doch an ‘survival of the fittest’ oder sollte ich sagen ‘the fattest’? Ich glaube mich zu erinnern, daß 17.00 Uhr gegessen wurde. Jedenfalls mußte man, wollte man rechtzeitig anwesend sein, zur Hall laufen, denn Busse kamen um diese Zeit nur im Schritttempo (man beachte: jetzt mit drei ‘t’) voran.

Zu meinen damaligen Studenten habe ich leider den Kontakt verloren. So weiß ich also nicht, ob ein gewisser Stephen auch wirklich Agent geworden ist, wofür er Deutschkenntnisse für ratsam erachtete.