LektorInnenlob

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Traude Heckel (Leeds, 1958-9)
“Es war einmal ... oder: Weder 'worrrk' noch ‘wurry’ ”

Long, long ago – ja, es sind schon mehr als vier Jahrzehnte vergangen, seit sich mir ganz überraschend die Chance bot, als Lektorin ans German Department der Universität Leeds zu gehen. Die beiden ersten, recht anstrengenden Jahre im Schuldienst lagen gerade hinter mir, da kam der unverhoffte ‘windfall’ wie gerufen.

Erwartungsvoll, auch nicht ganz ohne Bauchgrimmen, machte ich mich im Frühherbst 1958 auf die damals noch sehr langwierige Reise in den Norden Englands. Die ersten unvergeßlichen Eindrücke dort waren sprachlicher Art – durchaus passend zu meinem zukünftigen Job, hätte man meinen können, für mich aber zunächst ganz rätselhaft.

Am Bahnhof in Leeds angekommen, deponierte ich meinen Koffer vorerst beim left luggage. Kein Problem; aber der Angestellte verlangte dafür “a shilling luv”. Ich gab ihm den Schilling, er war damit zufrieden, ich dagegen nur halb. Verwundert rätselte ich an dem merkwürdigen ‘luv’ herum. Es sollte mir übrigens gleich noch einmal begegnen, im Bus. Dort wollte der Schaffner für den Fahrschein “thrrrpence luv” (oder waren’s sixpence?) Auf jeden Fall mit ‘luv’. Des Rätsels Lösung ergab sich ein paar Tage später beim Gruß des Gärtners in Tetley Hall, wo ich inzwischen wohnte. “Good mornin’, Miss. Luvly mornin’ this mornin’, isn’t it?” Jetzt ging mir endlich ein Licht auf!

Als waschechte Schwäbin registrierte ich von nun an dergleichen Abweichungen von der received pronunciation mit großem Vergnügen. Ein andermal im Bus: Eine dicke Frau jammert ihrer Sitznachbarin etwas vor – lautstark und ausführlich – vom täglichen stress daheim; abschließend seufzt sie: “You know, it’s not the worrrk, it’s the wurry!” Sie tat mir wirklich leid.

Da hatte ich es wesentlich besser: Weder ‘worrrk’ noch ‘wurry’ wuchsen mir über den Kopf. Frei nach August Kopisch könnte ich über meine Tätigkeit im German Department sagen:

Wie war zu Leeds es doch vordem
für die Lektorin angenehm.

Ich hatte die Aufsätze der ‘höheren Semester’ zu den damals gängigen Themen zu korrigieren (viel weniger als in unserer Schule) und mit den Studenten zu besprechen. An Einzelheiten erinnere ich mich kaum. Unvergeßlich bleibt mir aber die hocherstaunte Frage eines Studenten, als von Goethe die Rede war: “Oh, is that the chap we call Gothee?

Als besonders angenehm empfand ich es, daß mein Arbeitsplatz in Lilias Brebners Zimmer war. Kompetent und freundlich hat sie mich überall, wo es nötig oder wünschenswert war, hin- und eingeführt, nicht zuletzt beim University Ladies’ Tea Club, einer mir gänzlich unbekannten Einrichtung [now: University of Leeds Ladies Club], und hat mir damit die Eingewöhnung in die fremde Umwelt sehr erleichtert. Mit ihr bin ich auch einmal von Kettlewell aus hinübergewandert über den Berg, wo auf den Schafweiden die Orchideen blühten, hinüber in das bezaubernde Nest Starbotton, das für mich zum Inbegriff der Yorkshire Dales geworden ist. Noch manch anderen schönen Ort habe ich durch Lilias kennengelernt, nicht zuletzt Aberdeen, ihre Heimatstadt. Ganz mag ich davon nicht schweigen, zu eindrucksvoll war dieses Erlebnis. Morgens in aller Herrgottsfrühe am Hafen die einlaufenden Fischkutter! Wie sie entleert und der grau-silbrig glänzende Fang auf die Ladeflächen der schon wartenden Lastwagen weitergeschaufelt wurde (wirklich mit der Schippe geschaufelt!) – für mich etwas noch nie und seither nie wieder Gesehenes. Dazu der durchdringende, die ganze Hafenatmosphäre beherrschende, soll ich sagen: Duft? Wenn ich daran denke, spür’ ich ihn heut’ noch in der Nase!


Stellvertretend für die vorwiegend männlichen Mitglieder des German Department staff soll hier John Wilkie genannt werden. Wie alle Kollegen ging er mit mir äußerst freundlich und kollegial um. Und Sheila Wilkie stand ihrem Mann an Liebenswürdigkeit nicht nach. Sie verwöhnte ihre Gäste auf kulinarischem Gebiet; ihre Kochkunst führe ich immer an, wenn behauptet wird, in England bekomme man nichts Gutes zu essen.

Ein weiterer Name soll ebenfalls stellvertretend hier stehen: Irina Werth. Sie war Naturwissenschaftlerin und gehörte zum staff von Tetley Hall. Sie nahm mich in ihrem Auto zu einer Tagung nach Cambridge mit. Dort konnte ich, während Ira ‘tagte’, das schöne alte Universitätsviertel durchstreifen und sogar im noch mittelalterlichen Gebäude des Magdalene College wohnen. Die Wiesen voller ‘golden daffodils’ am jenseitigen Ufer des Cam sind eine bleibende schöne Erinnerung.


Im Department gab es von Zeit zu Zeit einen kleinen oder größeren Nebenjob für mich. Für Professor X (aus einem anderen Department) durfte ich einen langen wissenschaftlichen Vortrag, den er an einer deutschen Universität halten sollte, in brauchbares Deutsch übersetzen. Da seine Deutschkenntnisse bescheiden waren, mußten wir den Vortrag stundenlang mühevoll einüben. Das Tollste aber: Einmal wurde ich als Dolmetscherin an ein Leedser Industrieunternehmen ausgeliehen, wo ich angereisten deutschen Ingenieuren die Funktionsweise von Maschinen zur Herstellung neuartiger und natürlich sehr praktischer Verpackungen für Milch etc. erklären sollte. Das war aber nur auf dem Umweg über die englischen Verpackungskünstler und gewundene Umschreibungen möglich – ein wenig wie beim Schlangestehen: Ist die Schlange lang genug, windet sie sich hin und her, bis man schließlich doch ans Ziel kommt. Für meine Mühen wurde ich von dem Unternehmen geradezu fürstlich belohnt, noch nie hatte ich an einem einzigen Tag so viel verdient! Dafür konnte ich mir anschliessend (u.a.) einen Fahrschulkurs leisten, dessen sprachlicher Ertrag im häufig wiederholten “Release that cluutch!” meines Fahrlehrers bestand. Wenigstens verstand ich jetzt, was er meinte.

Auch meinen ersten und letzten pea-soup fog habe ich in Leeds erlebt. Solch fürchterliche Nebel gibt es (und gab’s auch damals) in meiner Heimat nicht. Der Busverkehr wurde eingestellt. Selbst als Fußgänger konnte man in dem grau-schwarzen Gewaber ganz schnell die Orientierung verlieren. Auf dem Rückweg von der Uni tastete ich mich vorsichtig an Hauswänden und Gartenmauern entlang und war heilfroh, als ich glücklich wieder in Tetley Hall angelangt war. Am Morgen dieses Tages hatte mich der Gärtner in tiefstem Bass begrüßt mit “nasty mornin’, this mornin’, isn’t it?” — It was!

All das war einmal — long, long ago. Bei vielem schwingt für mich ein wenig Nostalgie mit. Ich freue mich, daß ich noch einmal nach Yorkshire, nach Leeds zum LektorInnentreffen und dort ins German Department kommen darf.

* * * * * *

P.S. (wieder daheim:) Als ich auf der Rückreise am Leedser Bahnhof (am 5.8.00) nach dem Bahnsteig Richtung Manchester fragte, kam – wie das Tüpfelchen auf dem ‘i’ sozusagen – prompt die Antwort: “number 16, luv.

[Happily, most Yorkshiremen are choosing to ignore the recent Leeds City Council directive not to address female members of the public as “love/luv”.– Ed.]