Long, long ago – ja, es sind schon
mehr als vier Jahrzehnte vergangen, seit sich mir ganz überraschend
die Chance bot, als Lektorin ans German Department der Universität
Leeds zu gehen. Die beiden ersten, recht anstrengenden Jahre im Schuldienst
lagen gerade hinter mir, da kam der unverhoffte ‘windfall’
wie gerufen.
Erwartungsvoll, auch nicht ganz ohne Bauchgrimmen, machte ich mich im
Frühherbst 1958 auf die damals noch sehr langwierige Reise in den
Norden Englands. Die ersten unvergeßlichen Eindrücke dort waren
sprachlicher Art – durchaus passend zu meinem zukünftigen Job,
hätte man meinen können, für mich aber zunächst ganz
rätselhaft.
Am Bahnhof in Leeds angekommen, deponierte ich meinen Koffer vorerst beim
left luggage. Kein Problem; aber der Angestellte verlangte dafür
“a shilling luv”. Ich gab ihm den Schilling, er war
damit zufrieden, ich dagegen nur halb. Verwundert rätselte ich an
dem merkwürdigen ‘luv’ herum. Es sollte mir
übrigens gleich noch einmal begegnen, im Bus. Dort wollte der Schaffner
für den Fahrschein “thrrrpence luv” (oder waren’s
sixpence?) Auf jeden Fall mit ‘luv’. Des Rätsels
Lösung ergab sich ein paar Tage später beim Gruß des Gärtners
in Tetley Hall, wo ich inzwischen wohnte. “Good mornin’,
Miss. Luvly mornin’ this mornin’, isn’t it?”
Jetzt ging mir endlich ein Licht auf!
Als waschechte Schwäbin registrierte ich von nun an dergleichen Abweichungen
von der received pronunciation mit großem Vergnügen.
Ein andermal im Bus: Eine dicke Frau jammert ihrer Sitznachbarin etwas
vor – lautstark und ausführlich – vom täglichen
stress daheim; abschließend seufzt sie: “You
know, it’s not the worrrk, it’s the wurry!” Sie
tat mir wirklich leid.
Da hatte ich es wesentlich besser: Weder ‘worrrk’ noch ‘wurry’
wuchsen mir über den Kopf. Frei nach August Kopisch könnte ich
über meine Tätigkeit im German Department sagen:
Wie war zu Leeds es doch vordem
für die Lektorin angenehm.
Ich hatte die Aufsätze der ‘höheren
Semester’ zu den damals gängigen Themen zu korrigieren (viel
weniger als in unserer Schule) und mit den Studenten zu besprechen. An
Einzelheiten erinnere ich mich kaum. Unvergeßlich bleibt mir aber
die hocherstaunte Frage eines Studenten, als von Goethe die Rede war:
“Oh, is that the chap we call Gothee?”
Als besonders angenehm empfand ich es, daß mein Arbeitsplatz in
Lilias Brebners Zimmer war. Kompetent und freundlich hat sie mich überall,
wo es nötig oder wünschenswert war, hin- und eingeführt,
nicht zuletzt beim University Ladies’ Tea Club, einer mir gänzlich
unbekannten Einrichtung [now: University of Leeds Ladies Club],
und hat mir damit die Eingewöhnung in die fremde Umwelt sehr erleichtert.
Mit ihr bin ich auch einmal von Kettlewell aus hinübergewandert über
den Berg, wo auf den Schafweiden die Orchideen blühten, hinüber
in das bezaubernde Nest Starbotton, das für mich zum Inbegriff der
Yorkshire Dales geworden ist. Noch manch anderen schönen Ort habe
ich durch Lilias kennengelernt, nicht zuletzt Aberdeen, ihre Heimatstadt.
Ganz mag ich davon nicht schweigen, zu eindrucksvoll war dieses Erlebnis.
Morgens in aller Herrgottsfrühe am Hafen die einlaufenden Fischkutter!
Wie sie entleert und der grau-silbrig glänzende Fang auf die Ladeflächen
der schon wartenden Lastwagen weitergeschaufelt wurde (wirklich mit der
Schippe geschaufelt!) – für mich etwas noch nie und seither
nie wieder Gesehenes. Dazu der durchdringende, die ganze Hafenatmosphäre
beherrschende, soll ich sagen: Duft? Wenn ich daran denke, spür’
ich ihn heut’ noch in der Nase!
Stellvertretend für die vorwiegend männlichen
Mitglieder des German Department staff soll hier John Wilkie genannt werden.
Wie alle Kollegen ging er mit mir äußerst freundlich und kollegial
um. Und Sheila Wilkie stand ihrem Mann an Liebenswürdigkeit nicht
nach. Sie verwöhnte ihre Gäste auf kulinarischem Gebiet; ihre
Kochkunst führe ich immer an, wenn behauptet wird, in England bekomme
man nichts Gutes zu essen.
Ein weiterer Name soll ebenfalls stellvertretend hier stehen: Irina Werth.
Sie war Naturwissenschaftlerin und gehörte zum staff von
Tetley Hall. Sie nahm mich in ihrem Auto zu einer Tagung nach Cambridge
mit. Dort konnte ich, während Ira ‘tagte’, das schöne
alte Universitätsviertel durchstreifen und sogar im noch mittelalterlichen
Gebäude des Magdalene College wohnen. Die Wiesen voller ‘golden
daffodils’ am jenseitigen Ufer des Cam sind eine bleibende
schöne Erinnerung.
Im Department gab es von Zeit zu Zeit einen kleinen
oder größeren Nebenjob für mich. Für Professor X
(aus einem anderen Department) durfte ich einen langen wissenschaftlichen
Vortrag, den er an einer deutschen Universität halten sollte, in
brauchbares Deutsch übersetzen. Da seine Deutschkenntnisse bescheiden
waren, mußten wir den Vortrag stundenlang mühevoll einüben.
Das Tollste aber: Einmal wurde ich als Dolmetscherin an ein Leedser Industrieunternehmen
ausgeliehen, wo ich angereisten deutschen Ingenieuren die Funktionsweise
von Maschinen zur Herstellung neuartiger und natürlich sehr praktischer
Verpackungen für Milch etc. erklären sollte. Das war aber nur
auf dem Umweg über die englischen Verpackungskünstler und gewundene
Umschreibungen möglich – ein wenig wie beim Schlangestehen:
Ist die Schlange lang genug, windet sie sich hin und her, bis man schließlich
doch ans Ziel kommt. Für meine Mühen wurde ich von dem Unternehmen
geradezu fürstlich belohnt, noch nie hatte ich an einem einzigen
Tag so viel verdient! Dafür konnte ich mir anschliessend (u.a.) einen
Fahrschulkurs leisten, dessen sprachlicher Ertrag im häufig wiederholten
“Release that cluutch!” meines Fahrlehrers bestand.
Wenigstens verstand ich jetzt, was er meinte.
Auch meinen ersten und letzten pea-soup fog habe ich in Leeds erlebt.
Solch fürchterliche Nebel gibt es (und gab’s auch damals) in
meiner Heimat nicht. Der Busverkehr wurde eingestellt. Selbst als Fußgänger
konnte man in dem grau-schwarzen Gewaber ganz schnell die Orientierung
verlieren. Auf dem Rückweg von der Uni tastete ich mich vorsichtig
an Hauswänden und Gartenmauern entlang und war heilfroh, als ich
glücklich wieder in Tetley Hall angelangt war. Am Morgen dieses Tages
hatte mich der Gärtner in tiefstem Bass begrüßt mit “nasty
mornin’, this mornin’, isn’t it?” —
It was!
All das war einmal — long, long ago. Bei vielem schwingt
für mich ein wenig Nostalgie mit. Ich freue mich, daß ich noch
einmal nach Yorkshire, nach Leeds zum LektorInnentreffen und dort ins
German Department kommen darf.
* * * * * *
P.S. (wieder daheim:) Als ich auf der Rückreise
am Leedser Bahnhof (am 5.8.00) nach dem Bahnsteig Richtung Manchester
fragte, kam – wie das Tüpfelchen auf dem ‘i’ sozusagen
– prompt die Antwort: “number 16, luv.”
[Happily, most Yorkshiremen are choosing to
ignore the recent Leeds City Council directive not to address female
members of the public as “love/luv”.– Ed.]
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