Als
ich im Sommer 1994 zu einem Bewerbungsgespräch nach Leeds fuhr, freute
ich mich einerseits auf einen Neuanfang, andererseits war Leeds als Großstadt
für mich leicht beängstigend, nachdem ich fast zwei Jahre in Lampeter
in Wales verbracht hatte. Lampeter, eine kleine 1500-Seelengemeinde mit
einer etwa nochmal so großen Anzahl an Studenten, machte eine Einkaufsfahrt
nach Carmarthen zum Höhepunkt der Woche. Kino, Theater oder andere
Unterhaltung als ein Pubbesuch war ein äußerst besonderes Ereignis,
da Entfernungen und öffentliche Verkehrsmittel sehr einschränkten.
Und nach Lampeter und kurzem Gastspiel in Deutschland, dann Leeds ... Wie
sollte das bloß gut gehen? Eine Landpomeranze in der Großstadt?
Und auch noch alles andere als ‘streetwise’! Der Empfang im
German Department war schon mal sehr angenehm und gab dem Großstadtdschungel
schon eine freundlicheres Gesicht. Als ich dann noch an einem Tag eine Stelle
und ein Zimmer fand, konnte ja eigentlich nichts mehr schief gehen. Das
war der Tag, an dem ich mit Fred Bridgham und der 18 Hollin Lane in Leeds
Bekanntschaft machte. Wie für so viele andere zuvor, wurde dieses Haus
ein wirkliches Zuhause und die multinationale Wohngemeinschaft zwang nicht
nur zum Englischsprechen, sondern es fanden sich auch immer offene Ohren
für allerlei Alltagsprobleme und manche Beschwerden über interkulturelle
Verwicklungen.
Die ersten zwei Jahre, in denen ich als Vollzeitlektorin arbeitete und eine
Doktorarbeit so quasi als Hobby nebenher betrieb, vergingen wie im Flug.
Besondere Herausforderungen waren die Vorlesungen, die alle Lektorinnen
zwei bis dreimal im Jahr vor den versammelten First Years halten mußten
oder durften, je nach Standpunkt. Im Prinzip war es eine Ehre, selbständig
eine Vorlesung gestalten zu dürfen – je näher dann allerdings
der Zeitpunkt der eigenen Vorlesung rückte, desto mehr spielten die
Nerven mit und es schien eher wie ein Muß. Wenn alles überstanden
war, mutierte das Ganze wieder zu einer einmaligen Chance, aber je öfter
frau Nerven und Technik meisterte, desto leichter fiel es. Also doch eine
Chance, und eine für die ich heute noch dankbar bin. (Redeangst vor
großen Gruppen erfolgreich überwunden, nun steht der Kandidatur
fürs Parlament nichts mehr entgegen!)
Das Großstadtleben zeigte sich dann auch von der besten Seite, und
bald gehörten Kino-, Theater- und Ballettbesuche zu den Selbstverständlichkeiten
des Lebens. Das kulturelle Angebot war reichhaltig und interessant und Angebote,
selber aktiv zu werden – das Yorkshire Dance Centre ist nur ein Beispiel
– machten Lust auf Neues und Ausprobieren. Die regelmäßigen
Ausflüge zum Wandern in die Yorkshire Dales und an die Küste bei
Whitby taten ein Übriges, Yorkshire und Leeds ganz speziell lieb zu
gewinnen. Selbst die Schattenseiten der Großstadt mit wiederholten
Einbrüchen und den Warnungen, bestimmte Gegenden zu meiden, konnten
dieses Bild für mich nicht trüben.
Die verbleibenden beiden Jahre in Leeds verbrachte ich dann zwar nur noch
teilweise im German Department mit Unterrichten, Heimat blieb es aber doch,
nicht zuletzt aufgrund der Doktorarbeit.
Auch wenn das alles heute fast abgeschlossen ist, und ich nun im noch größeren
London arbeite, bleiben Leeds und Yorkshire doch ein Stück Heimat,
das mir nicht verloren gehen wird, habe ich doch dort auch meinen zukünftigen
Mann kennengelernt.
Es gäbe noch viele Geschichten zu erzählen: von der Überschwemmung
in 18 Hollin Lane, nach dem ich als baglady von KollegInnen zu KollegInnen
zog; vom Weinfleck auf dem Teppich des German Foyers, der bei der Feier
nach der erfolgreichen Produktion des Besuchs der alten Dame entstand;
oder vom Sarg im Lektorinnenzimmer [ebenfalls ein Andenken vom “Besuch”],
der einige Generationen von StudentInnen verunsicherte. Darüber hinaus
verdienten noch viele Kollegen und Kolleginnen, die sich immer wieder auf
die Sorgen und Nöte der neuen Lektorinnen einstellten, obwohl sich
die Anpassungsschwierigkeiten und die interkulturellen Mißverständnisse
doch so geähnelt haben müssen, mehr als nur ein Lob.
|