LektorInnenlob

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Anette Nübel (Leeds: 1975-6)
“Leeds International”

Wenn ich an die Zeit in Leeds denke, verschwimmen die Erinnerungen, denn ich war schon einmal für ein Semester als Studentin dort gewesen. Auf jeden Fall ist Leeds international. Das war und ist ja nicht nur in der Stadt so, sondern auch an der Universität und in Weetwood Hall. Ich schloss Freundschaften fürs Leben, und wenn ich nach Leeds komme, ist es wie Heimkommen.

Ich wohnte in Weetwood Hall. Da war das Heimkommen jedes mal ein Erlebnis. Ein verschlungener Weg führte durch Rhododendren, die besonders schön waren im Juni, wenn sie blühten. Das graue Haus tauchte erst auf, wenn man schon gar nicht mehr glaubte, daß da eines war. So groß war das Gelände.

Bei mir auf dem Gang wohnten auch Chinesinnen aus Hong Kong / Malaysia und Singapur und eine Studentin aus Jamaika. Zum ersten Mal lernte ich Leute von dort kennen, wir trafen uns oft auf dem Weg ins Bad oder zum Toastmachen (jede bekam Butter und eine halbe Flasche Milch pro Tag). In Weetwood war übrigens auch eine Studentin, die sich nur von Kartoffelprodukten ernährte. Ich war sehr erstaunt zu sehen, daß sie die meisten köstlichen Sachen aus der Küche ablehnte und dafür immer etwas aus Kartoffeln bekam. Ich hatte gar nicht gewußt, daß es so eine Vielzahl gab.

Mir fiel auf, daß man alle Bäder abschließen konnte. Ich glaube, Duschen wie ich es von Zuhause in Deutschland gewohnt war, gab es nicht. Überhaupt waren die Engländerinnen äußerst genierlich. Ich lernte, daß ein Morgenrock ein ganz wichtiges Kleidungsstück ist, – und ich besaß keinen. Es wimmelte nur so davon in Weetwood, hauptsächlich in Rosa. Ich konnte nie auch nur einen Blick auf einen nackten Körper werfen. Nur in den Zeitungen war das möglich.

Meine zweite Heimat war das German Department. In meinem Zimmer korrigierte ich vor allem Aufsätze. Als die Studenten einmal über ein Thema nach Wahl schreiben sollten, bekam ich einen sehr rätselhaften Aufsatz. Erst nach längerem Lesen fand ich, daß sich ein Sinn ergab, denn mit ‘Abtreibung’ war ‘deutsche Teilung’ gemeint. Der Student war in Leipzig gewesen. Überhaupt traf ich meinen ersten ‘echten’ Ostdeutschen im German Department, denn als Süddeutsche habe ich keine Verwandten in der ehemaligen DDR und war auch nicht zu Besuch dort gewesen.

Der Institutionsleiter war Professor Wilkie. Man kann sich mein Erstaunen vorstellen, als er zu mir gleich am Anfang sagte: “Call me John.” Das war ich von deutschen Professoren nicht gewöhnt! Vielleicht fand er mich sehr stoffelig und steif, weil ich vermied, ihn anzureden. Aber auch sonst war der Umgang mit den Leuten im Department locker. Tea und biscuits waren für mich Höhepunkte des Tages. Ich erinnere mich, daß mich Helen, die blonde Schottin, die wie eine Deutsche aus dem Bilderbuch aussah, und ein Kollege zu einem Rugby-Spiel mitnahm. Es kam mir so brutal vor, daß ich mir nie wieder eines ansah. Helen wußte übrigens bestens über Brandenburg Bescheid — ich kannte von Fontane höchstens die Romane!

Bei einem Kollegen erlebte ich ein anderes Abenteuer. Ich war zum Tee eingeladen und wollte mich artig auf das Sofa am Tisch setzen. Aber da lag schon eine Katze, die mich fürchterlich anzischte. Als sie sich doch an mich gewöhnt hatte, sprang sie mir von hinten ins Genick. Dann legten sich auch noch andere Katzen auf meine Beine. Ich wagte nicht, mich zu bewegen, und machte etwas mühsam Konversation, weil ich doch die Katzen, – es waren sieben –, im Auge behalten mußte. Daß die Engländer Hunde lieben, wußte ich ja schon. Aber Katzen?

Ich hatte auch ein ‘Haustier’, eine ginger beer plant, die man täglich mit Zucker füttern mußte. Das ergab zuerst eine Flasche, dann zwei, dann vier, dann acht u.s.w. Ich holte von überallher Flaschen. Man kann sich vorstellen, daß die zuerst ausgingen, bevor der Keller in Weetwood voll war. Ab und zu platzte eine Flasche einmal, als ich aus dem Bus ausstieg auf dem Weg zu einer Party bei einem Kollegen. Ich glaube nicht, daß er sehr traurig war, daß ich ihm nur den Stöpsel als Gastgeschenk überreichen konnte, denn das ginger beer war wirklich nicht so besonders gut. Ich gebe zu, daß ich beim “Füttern” größeren Spaß hatte als beim Trinken meines Produkts.

Ich verkörperte wohl nicht gerade das Idealbild einer korrekten Deutschen. Ich diente schon eher zum Beweis, daß Deutsche verschroben sein können.