LektorInnenlob

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Werner Plehn (Leeds, 1980-2)
“Reisepaß, oder nicht – das war hier die Frage”.

Erinnerungen an Leeds, an zwei Jahre Lektorentätigkeit am German Department der University of Leeds von 1980-82, sind mir und meiner Familie, nach nunmehr 20 Jahren, noch immer sehr lebendig. Ich denke an die herzliche Aufnahme im Institut, an die fruchtbare Zusammenarbeit mit den Kollegen, an vorzügliche Arbeitsbedingungen, an nette Studenten, an vielfache Aktivitäten außerhalb des Instituts, die uns seitens der Kollegen auf vielfältige Weise zuteil wurden und uns Land und Leute näher brachten. Namen wie Ken und Richard, Hugh und Helen, Raymond and Fred, Douglas und John, sind fest in diese “Memories” eingebunden.

Der Aufenthalt in Leeds ruft in uns aber auch immer eine Geschichte wach, die ich hier erzählen will. Sie ist eigentlich privater Natur, hat nichts mit der Tätigkeit am Department zu tun, und ist doch fest eingebunden in die sozialen Bedingungen jener Zeit, in Zwänge und absurde Gegebenheiten, die aus heutiger Sicht, nach zehn Jahren deutscher Vereinigung und weitest gehender Reisefreiheit in Europa, fast schon kurios wirken, um nicht zu sagen grotesk.

Eine Reise gen Westen war für uns als “DDR-Bürger” eine absolute Ausnahmesituation, bedeutete sie doch den fast unüberwindlichen “eisernen Vorhang” zu durchdringen, zu den wenigen Personen zu gehören, die diese Möglichkeit erhielten. Der Gegensatz Ost-West, Kommunismus-Kapitalismus trieb dann auch seltsame Blüten, zu welchen ich diese Geschichte zählen möchte.

Sie trug sich im Frühjahr 1981 zu und zeigt nicht nur ausgeprägte Empfindsamkeiten und ideologiebedingte Einstellungen auf beiden Seiten des besagten Vorhangs, sondern auch ein gehöriges Maß an übertriebener Bürokratie. Auf der englischen Seite bedeutete unsere Einreise recht ausgedehnte Interviews beim Immigration Officer, zum eigenen Berufsbild, zu Intentionen, zu Restriktionen, zum Für und Wider, Wenn und Aber des Aufenthalts, bevor die Sperre passiert werden konnte. Verbunden damit war auch die Vergabe eines einmaligen Einreisevisums, was unweigerlich nach sich zog, daß in gebührendem Abstand vor der nächsten Ausreise auf dem Postweg ein “Re-entry visa” beantragt werden mußte, und das in Liverpool. Diese Praxis war umständlich, ging aber gut bis zum März jenes Jahres. Da geriet mein Paß in einen nicht mehr enden wollenden Streik von Royal Mail, in einen der Postsäcke, und war so verschollen. Intensivste Bemühungen halfen nicht. Weder ein Telegramm, sozusagen von Beamten zu Beamten seitens Ken Knight an die Ausländerbehörde, noch unsere Reise zur Institution direkt nach Liverpool waren erfolgreich. Man empfahl uns lediglich als momentane Lösung das deutsche Konsulat auf der anderen Straßenseite. Das gehörte aber der BRD! So blieb der Reisepaß verschwunden.

Hier sollte dem Leser eine Hintergrundinformation gegeben werden, die das beschriebene Problem für uns noch brisanter machte. Ich war mit meiner Frau Ilona und unserem jüngsten Sohn Alexander (5) eingereist, während unser ältester Sohn Gunnar (10) zu Hause bleiben mußte. Eine Reiseregelung der DDR besagte aber, daß Kinder ihre Eltern nach dem ersten Jahr des Auslandseinsatzes, nicht aber nach dem letzten Jahr besuchen können.

So war meine Rückreise im Juni 1981 zu einem Muß geworden, wäre sonst doch der Anspruch für unseren Sohn verfallen und hätte bei ihm, der sich, verständlicherweise, ohnehin sehr benachteiligt fühlte, zu schweren Enttäuschungen geführt. Aber was tun ohne Reisepaß?

Das Naheliegende in dieser Situation war natürlich, die DDR-Botschaft in London aufzusuchen, was ich auch tat und zu meinem Erstaunen feststellen mußte, daß mein dortiger Ansprechpartner, der Konsul, ein ehemaliger Kommilitone von mir war. Nach einem kurzen Austausch gemeinsamer Erlebnisse glaubte ich so, daß alles andere nur eine Formfrage wäre und einem neuen Reisepaß wohl nichts im Wege stände. Aber weit gefehlt! Besagte Amtsperson erklärte mir, daß sie einen neuen Paß nur ausstellen könne und dürfe, wenn der alte Paß weg sei. Das träfe aber nicht zu, da er nur in irgendeinem Postsack stecke. Ich wollte es nicht glauben, daß sich nun die Einreise in die DDR fast genauso schwer gestalten sollte wie die Ausreise aus ihr. Eine längere Debatte, ein Hin und Her, führte schließlich zu dem fast schon absurden Vorschlag, ich solle doch meine Heimatuniversität anrufen, diese bitten, das Hochschulministerium zu verständigen, damit dieses dann das Außenministerium benachrichtige und von dort grünes Licht für den Konsul in London käme, mir einen Paß auszustellen. Umständlicher konnte es wohl nicht sein! Deshalb fragte ich zurück, warum er denn nicht direkt sein Ministerium anrufe. Die Antwort war, daß es für dieses Telefonat, West-Ost, der Genehmigung des Botschafters bedürfe, diesen aber wage er deswegen nicht anzusprechen. Wie groß müssen doch die ideologischen Zwänge gewesen sein?

In meiner Not ging ich diesen umständlichen Weg und hatte, entgegen meiner Annahme, sogar Glück. Ich erhielt das begehrte Papier, allerdings als Provisorium, gültig für nur wenige Tage, konnte nach Hause fahren, war dort aber wieder ohne gültigen Reisepaß, und noch viel schlimmer, ohne den begehrten Stempel für eine langfristige Ausreise.

So begann ein Wettlauf mit der Zeit, um den Paß an sich, um das Ausreisevisum, um die Papiere des Sohnes, usw. Ein hilfsbereiter Kollege im Hochschulministerium sagte mir gleich, das schaffst du nie an einem Tag, war aber auf mein Drängen bereit, das Wagnis mit mir einzugehen und stellte dafür seinen “Trabbi” zur Verfügung, mit welchem wir kreuz und quer durch Ostberlin fuhren, immer im Kampf mit der Zeit. Zunächst die Genehmigung für die Ausreise von mehreren Abteilungsleitern einholen, denn wer wollte schon allein riskieren, das Okay für eine Westreise zu geben, – zeitraubend – dann noch die Absegnung durch den Hochschulminister, dieser war in einer Sitzung im Außenministerium, wo ich keinen Zutritt hatte, zum Glück aber der hilfsbereite Kollege, Sitzungspause abwarten, Unterschrift dann erhalten, zur Polizeidirektion gesaust, da kurz vor Büroschluß, und, dann oh Wunder, ein neuer Paß.

Aber, ich hatte noch kein Visum für Großbritannien, was erneut ein Problem aufwarf. Wie war es kurzfristig zu lösen? Mein naiver Vorschlag, daß ich es mir doch direkt von der britischen Botschaft holen könne, löste Verwunderung und zugleich Bestürzung aus. Wie könnte ich denn überhaupt so etwas vorschlagen, dafür gebe es doch einen Dienstweg über das Reisebüro, Zeitdauer etwa sechs Wochen, und außerdem werden Besucher der Botschaft doch videoüberwacht. Also, das ginge nicht! Hartnäckig sind wir aber dann über mehrere Stunden bei unterschiedlichen Personen vorstellig geworden bis eine den Mut aufbrachte, auf die eigene Kappe zu nehmen, daß ich die westliche Botschaft betrat. Nun ging alles recht schnell. Anliegen vorgetragen, Gebühr bezahlt, Visum erhalten. Als die dortige Beamtin jedoch meinen Namen sah, glaubte sie plötzlich, diesem schon begegnet zu sein, was mich sofort, der Seltenheit des Namens bewußt, mutmaßen ließ, daß Gunnars Paß noch dort sei. So war es. Also nahm ich ihn gleich mit, wäre sonst mein Bemühen doch zum Scheitern verurteilt gewesen. Ich durchbrach damit aber die Bürokratiekette, der Paß ging nicht über das Reisebüro zurück, wurde so später vermißt und brachte mir nachträglich einen Rüffel ein. Aber da war alles schon Schnee von gestern.

Ende gut – alles gut. Ich landete mit Gunnar in Heathrow, wir waren als Familie vereint und konnten schönen Tagen mit unseren englischen Freunden in Großbritannien entgegensehen.

Seitdem hat sich viel verändert in unserem Europa, was eine Geschichte wie diese schon anachronistisch erscheinen lässt. Sie verdeutlicht uns aber immer wieder, wie sensibel die unterschiedlichen politischen Systeme waren, wie sie auch im täglichen Leben Bedingungen hervorbrachten, die dem jeweils anderen völlig fremd waren. Das erklärt auch, warum Adelheid, meine damalige westdeutsche Kollegin am Department mich zuweilen aufforderte: “Werner, erzähl mal wieder etwas von deinem Bau (Bau des Einfamilienhauses, fast ohne Firmenbeteiligung und bei ständigem Baustoffmangel), wir wollen mal wieder lachen.”


From the Preface to Anglo-German Studies (1992):

A collection of essays which is the brainchild of a particular Professor Emeritus and is also part-authored by him cannot be designated as his own Festschrift. The fellow-contributors to this volume, however, as an affectionate tribute to Ken Knight’s unique blend of purposeful diffidence, scholarship and humanity – former chairman of the Conference of University Teachers of German, Quaker, campaigner for nuclear disarmament, old China hand, and now Lecturer in the University of the Third Age as well as seventeenth-century specialist and inspirer of the University of Leeds M.A. in Anglo-German Literary Relations – wish to put their appreciation on record here.
Si Festschrift requirenda sit, legite!