LektorInnenlob

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Brigitte Reischle (Leeds, 1956-7)
“Eine deutsche Lektorin in Leeds – ein Neuanfang.”
Das Jahr als Lektorin in Leeds war eine der interessantesten und glücklichsten Zeiten in meinem Leben. Ich war als Studentin schon dort gewesen und freute mich, daß nach Beendigung meines Studiums in Tübingen im Sommer 1956 die Einladung an mich erging, für ein Jahr als Lektorin an das German Department der Universität Leeds zu gehen. Prof. Gillies hatte durchgesetzt, daß die Stelle einer deutschsprachigen Lektorin genehmigt wurde, und wünschte sich eine Mitarbeiterin aus dem Kreis ehemaliger Tübinger Austauschstudenten. Daß dabei die Wahl gerade auf mich fiel, überraschte mich, hatte ich doch als Schulmusikerin weder Deutsch noch Englisch im Hauptfach. Den Ausschlag gab offenbar die Tatsache, daß ich mich bei meinem ersten Aufenthalt in Leeds sehr für den German Choir eingesetzt hatte und ihn wieder kräftig unterstützen sollte. Da die Aufgaben am German Department rein sprachlicher Natur sein würden (Essay-Writing in kleinen Gruppen für die Studenten mit German Special im dritten Jahr sowie Organisieren und überwachen kleiner Konversationsgruppen, die von Tübinger Austauschstudenten und teilweise von mir zu leiten waren), wurden meine anfänglichen Bedenken zerstreut, so daß ich im Herbst 1956 die Lektorin-Stelle in Leeds antrat.

Das Einleben wurde mir leicht gemacht durch die alten Bekannten aus der Studienzeit, wie z.B. John Wilkie und Dr.Thomas, vor allem aber durch Lilias Brebner (Mrs Byrn), den damals einzigen weiblichen Member of Staff, die mir freundschaftlich verbunden war und ihr Arbeitszimmer im 4.Stock des Parkinson Building mit mir teilte. Auch außerhalb des German Department hatte ich noch manche Verbindungen von früher: Miss Pither, die Warden von Oxley Hall, lud mich ein, wie zwei Jahre zuvor wieder in Oxley Hall zu wohnen, diesmal als Member of Staff mit allen Pflichten und Sonderrechten. Prof. Denny vom Music Department freute sich, daß ich mich wieder der Madrigal Group und dem Universitätsorchester anschloss. So entstanden rasch weitere gesellschaftliche Verbindungen: Ich wurde oft zu Wohltätigkeitsdiensten herangezogen, z.B. zum Singen in Krankenhäusern, wo ich großen und vor allem kleinen Patienten deutsche Volkslieder vorsang. Ein sehr engagierter älterer Herr, Mr Rowntree vom Komitee der Quäker, war ein häufiger Gast in unserem Arbeitszimmer, um mich immer wieder für solche ‘social engagements’ zu gewinnen. Ich machte das gern, empfand ich es doch als sehr wichtig, Kontakte zwischen den Menschen unserer Völker zu knüpfen nach den Jahren der Feindseligkeit, die noch gar nicht so weit zurücklagen.

Die Arbeit mit den Studenten war höchst erfreulich, weil sich alle sehr engagierten und das Arbeiten in kleinen Gruppen (vier Studenten in einem Kurs Essay-Writing) überaus effektiv war. Der Unterricht lief so ab, daß ich einige Themen zur Auswahl stellte, Themen allgemeiner Art (z.B.: Sollte jeder junge Mensch eine Fremdsprache lernen?) oder literarische Themen aus dem Bereich der Pflichtlektüre des laufenden Semesters. Die Studenten schrieben zu Hause einen Aufsatz, den sie mir im Laufe der Woche in mein Fach legten. Bis zur nächsten Unterrichtsstunde korrigierte ich die Aufsätze und besprach sie dann einzeln in der Gruppe. Jeder Student machte sich Notizen über sprachliche Fehler und ihre Verbesserung. So konnte jeder auch aus den Fehlern der anderen lernen und dadurch größtmöglichen Nutzen aus der Besprechung ziehen. Dabei wurde mir erst bewußt, wie schwierig doch Deutsch als Fremdsprache ist.

Wir pflegten auch privat guten Kontakt, der sich in einem Fall bis heute aufrechterhalten hat. Mehrmals lud ich die Studenten zum zwanglosen Gespräch auf Deutsch in mein Zimmer in Oxley Hall ein und bewirtete sie mit deutscher Kost, wie Schwarzbrot und Wurstaufschnitt, Dingen, die ich damals nur in einem großen Kaufhaus (ich glaube, es hieß Lewis’s [– ja, jetzt aber Allders]) in der ‘Continental Corner’ bekommen konnte. Ich wollte den jungen Leuten zeigen, daß ‘continental food’ durchaus essbar ist und man sich diesbezüglich nicht vor einem Auslandsaufenthalt fürchten mußte. – Die Weihnachtszeit war natürlich besonders geeignet, um deutsche Bräuche vorzustellen und Unterschiede aufzuzeigen. Ich ließ mir von zu Hause typisches deutsches bzw. schwäbisches Weihnachtsgebäck kommen und schmückte mein Zimmer, so gut es ging, weihnachtlich aus. Es war schon schwierig, Tannenzweige und rote Kerzen zu bekommen, damit ich eine kleine Christmas party in deutschem Stil veranstalten konnte, bei der wir natürlich auch deutsche Weihnachtslieder sangen. Für meine Gäste war diese Art des Feierns zunächst sicherlich ungewohnt im Vergleich mit ihren eigenen Christmas parties, wo lustige Dekorationen und ausgelassene Unterhaltung üblich waren. – In die Vorweihnachtszeit fiel auch das jährliche Oxley Hall Concert, das ich wie zwei Jahre zuvor mit den Bewohnerinnen organisierte und mitgestaltete. Der German Choir wurde in diesen Tagen auf eine harte Bewährungsprobe gestellt: Wir veranstalteten ein öffentliches Christmas Carol Singing und ernteten viel Beifall, so daß wir uns in unserem Bemühen bestätigt fühlten.

Es war schon ein merkwürdiges Gefühl für mich, nach zwei Jahren in vollkommen veränderter Position nach Leeds zurückgekommen zu sein. Es gab nun Vorrechte, die ich reichlich genoss: Ich durfte im Gegensatz zu den Studenten den Aufzug benützen, um in den 4.Stock des Parkinson Building zu gelangen; zum Mittagessen ging es in den Staff Restaurant im 1.Stock des Union Building. Eine besondere Ehre war es, beim sonntäglichen Formal Lunch in Oxley Hall als Member of Staff am High Table, dem Tisch der Warden zu sitzen, wie auch bei Einladungen in anderen Halls. – Die gute Mrs Wilson, die Putzfrau im German und French Department, verwöhnte uns jeden Morgen um 10 Uhr mit einer Tasse Tee und köstlichen biscuits. Sie hatte mich übrigens so ins Herz geschlossen, daß sie mich zum Abschied in ihre Wohnung zum Tee einlud und mir eine selbst gestickte kleine Tischdecke in Grün und Rosa überreichte für meine Aussteuer, nachdem sie herausgefunden hatte, daß ich in Deutschland einen boyfriend habe!

Ein sehr eindrückliches Erlebnis für mich war gegen Ende meiner Zeit in Leeds die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität an berühmte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Die Feierlichkeiten fanden in der Town Hall statt in Anwesenheit der Princess Royal, die Chancellor der Universität war. Alle Professoren, Dozenten, Bürgermeister der County, Town Clerks und sonstige Persönlichkeiten von Behörden und Kirchen, jeweils in ihren Amtsroben und teils mit weißer Lockenperücke, zogen feierlich unter Orgelklang in den Saal ein. Ich durfte als Member of Staff teilnehmen. Da ich natürlich nicht einmal einen gown besaß, hatte ich mir extra ein schwarzes Kostüm gekauft und bei Lilias Brebner einen schwarzen Hut ausgeliehen, der ein unbedingtes Muß war. So gekleidet konnte ich dann schon bestehen.

Die Gastfreundschaft der Menschen in Leeds war überwältigend, so daß ich mich rundum wohl fühlen konnte, privat und bei der interessanten Tätigkeit im German Department. Daß ich mich nicht für ein weiteres Jahr in Leeds entschied, hatte persönliche Gründe. Ich wollte zurück nach Deutschland, um vor meiner Heirat möglichst schnell meine Referendarzeit zu Ende zu bringen; sonst hätte ich sicher einer Verlängerung zugestimmt.