Voranstellen möchte ich, daß meine Lektorinnenzeit
in Leeds eine sehr gute wurde und das, obwohl so manche äußeren
Umstände kaum Gutes versprachen. Es war die Zeit des Yorkshire Ripper
und des Falkland-Kriegs, und für jemand aus einer Stadt wie Salzburg,
deren Schönheit ständig hochgejubelt wird, war das Stadtbild
von Leeds ca. 1980 gelinde gesagt gewöhnungs-bedürftig.
Auf einen Punkt gebracht war Leeds für mich
ein Ort der Chancen:
die Chance beruflich etwas Neues zu tun, das britische Drama endlich auf
der Bühne zu erleben, neue Leute kennen zu lernen. Durch die einfühlsame
Vermittlung der Mitglieder des German Dept. traf ich dabei auch auf Leute
aus anderen Kreisen, mit denen ich z.T. bis heute befreundet bin. So lernte
ich etwa den “Left Lunch Club” und die britische
Friedensbewegung kennen, was mir, aus einem neutralen Land kommend, völlig
neue politische Einblicke verschaffte. Und in Sachen Theater hatte ich
das große Glück, mit Hugh Rorrison und Helen Chambers Freundschaft
zu schließen, die meine Begeisterung für das Theater nicht
nur teilten, sondern auch in Rat und Tat unterstützten. Sie lehrten
mich das Manchester Royal Exchange Theater kennen und schätzen, nahmen
mich zu RSC Gastspielen nach Newcastle und Hull mit und verwiesen mich
auf die zahlreichen Theateraktivitäten in Leeds selbst. Damals gab
es noch kein West Yorkshire Playhouse, aber ein aktives Leeds Playhouse
am Unigelände, ein rühriges Drama Department unter Michael Patterson
und jede Menge Originale im English Department. Oft sah ich bis zu 5 Vorstellungen
pro Woche. Irgendwann kippte das Zuschauen um in ein Selber-machen-wollen
und die German Dramatic Society wurde wieder belebt. Meine eigenen Fähigkeiten
lagen eher im Organisieren, darum war ich besonders dankbar für die
zahlreichen guten Ratschläge und Adaptierungsvorschläge von
Hugh, mit dessen Hilfe wir zuerst eine Kurzfassung der Minna von Barnhelm
und im darauffolgenden Jahr den Urfaust aufführten. Die
Begeisterung und das Engagement der Studierenden gehören zu meinen
schönsten Erinnerungen.
Lustige und weniger lustige “culture shocks”:
Man kann es sich heute nur mehr schwer vorstellen, aber 1980 gab es in
ganz Leeds kein Kaffeehaus, das diesen Namen auch verdient hätte.
Österreichische Süchterl wie ich mußten also den Kaffee
entweder selber brauen oder mit dem Zug nach York fahren und sich bei
Taylor‘s oder Betty‘s trösten lassen.
In Leeds holen einen die dunkleren Kapitel der österreichischen
Geschichte zwangsläufig ein. Unter den zahlreichen jüdischen
Bewohnern der Stadt trifft man fast unweigerlich auf solche, die
Österreich in den 30er Jahren verlassen mußten [Stella
Rotenberg, z.B.]. Grund genug, sich
mit dem meiner Generation in der Schule unterschlagenen Zeitraum
zu befassen. Überhaupt schien dies die zentrale Herausforderung:
das was man am eigenen Land liebt, den Studierenden nahe zu bringen,
und die negativen Aspekte nicht zu unterschlagen. Die Finalists
verstanden etwas davon, hatten sie doch gerade ein Auslandsjahr
hinter sich, in dem sie nicht nur einiges über ihr Gastland,
sondern mindestens ebenso viel über ihr eigenes Britischsein
gelernt hatten.
1980 war ich vor allem dankbar für die freundliche Aufnahme und die
vielfältige Unterstützung, die ich in Leeds in meiner Arbeit
und als Person erfuhr. Aus heutiger Sicht bewundere ich auch die herzliche
Offenheit, mit der sich die permanenten Mitglieder des German Dept. trotz
des vorgegebenen “Ablaufdatums” auf immer wieder neue Lektorinnen
einließen.
Daß ich mein britisches Ablaufdatum letztendlich weit überschritt,
lag an einem Soziologie-Dissertanten, den ich gegen Ende meiner Lektorinnenzeit
kennenlernte und der heute mein Mann ist.
|